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Freundschaft mit Gerhard Stoltenberg & Basia Neil

Barbara (Basia) Neil öffnete Türen und Herzen –

Gerhard Stoltenbergs Zigarrenkiste und Fonds

(Rede - Verabschiedung von Frau Neil, Staatskanzlei, Kiel)

Damals, im Januar 1978 trafen sich der Lübecker Dietrich „Didi“ Eicke und der Flensburger Joachim „Yogi“ Reppmann in ihrer Kieler Studentenbude am Sophienblatt, um systematisch eine erste gemeinsame Forschungsreise in die USA vorzubereiten. Unser Ziel war es „Schleswig-Holsteinische Städtenamen im Mittleren Westen der USA“ ausfindig zu machen und ihrem Ursprung nachzugehen. Solche Namen tragen Städte wie Kiel und New Holstein, Wisconsin, nördlich von Chicago, oder Flensburg, im Nordwesten des Bundesstaates Minnesota, ebenso wie die plattdeutschen Hochburgen Schleswig und Holstein, im westlichen Iowa, westlich von Chicago, oder die grenznahe Stadt Lubec, Maine, an der Atlantikküste, wo auf der kanadischen Seite der ehemalige US-Präsident Franklin D. Roosevelt in seiner Kindheit einige Mal seine Sommerferien verbracht hatte

Aber woher das Geld für diese dreimonatige Forschungsreise nehmen? Wie wäre es, wenn wir einfach unseren Ministerpräsidenten Gerhard Stoltenberg aufsuchen und um Hilfe bitten? Stolti war doch selbst ein promovierter und sogar habilitierter Historiker. Gedacht, getan. Trotz unserer langen Haare ließ uns der Pförtner ins Landeshaus ein, aber die Büros der Staatskanzlei waren leer und Stoltenberg zur Vorbereitung seiner nächsten Karrierephase gerade in Bonn. - Aber nichts im Leben ist ganz umsonst. Denn du öffnetest uns im wahrsten Sinne des Wortes die Tür zur Staatskanzlei und ermöglichtest nach einem freundlichen Empfang die für uns wichtigen Begegnungen. So trafen wir zunächst Dr. Thomas Gruber. Der damalige wissenschaftliche Mitarbeiter sollte später einmal Intendant des BR werden. Ihm trugen wir unsere Bitte vor, unsere Forschungsreise aus dem Verfügungsfonds des Ministerpräsidenten zu unterstützen. Tatsächlich konnte dieser Herr Gruber uns nach kurzer Rücksprache mit Stoltenbergs einflussreichem Pressesprecher, Dr. Arthur Radtke, sogleich 1000 DM zusagen. Thomas schwärmte sofort von Dir.

Für dieses wichtige Startkapital bedankten wir uns brieflich dann auch 1978 aus Kiel, Wisconsin, bei unserem Landesvater. Nach unserer Rückkehr fanden wir zu unserer Überraschung eine Einladung zu Kaffee und Kuchen in Eurem Büro vor. Daraufhin schickten wir Euch unsere 14-seitige Seminararbeit als Ergebnis unserer Forschungsreise mit umfangreichem Anhang zu. Stoltenberg befand sich damals in einer schwierigen Phase des Kampfes um seine Wiederwahl zum Ministerpräsidenten. Neben seinem eigenen Wahlkampf hatte ihn nämlich der in Norddeutschland unbeliebte Kanzlerkandidat der Union, Franz-Joseph Strauß, gebeten, die Rolle des potenziellen Vizekanzlers zu übernehmen und wichtige Wählerschichten für ihn zu gewinnen. In dieser angespannten Situation bewirtete uns Stoltenberg sehr entgegenkommend. Als nun auch mit Wisconsin gemeinsame Interessen und Bekannte zur Sprache kamen, war unsere schöne Freundschaft besiegelt.

Gedankenverloren nahm unser Gastgeber sich eine Zigarre aus der Kiste auf dem Tisch und zündete sie an, woraufhin Didi Eicke mit einer ausdrucksstarken Handbewegung in Richtung Kiste ungeniert erklärte: „Herr Ministerpräsident, Ihre Zigarren lachen mich so lustig an: darf ich auch mal hineingreifen?“

Was geschah daraufhin, möchte man gerne wissen.

Es schien Stoltenberg peinlich zu sein, dass er uns, seinen Gästen, keine Zigarre angeboten hatte, denn er erhob sich, knöpfte das Jackett zu und rief Dich, Barbara, und charming Christa Schacht herein: „Meine verehrten Damen, bitte hören Sie mir jetzt aufmerksam zu: diese beiden Herren sind meine neuen Freunde und Historikerkollegen. Leider habe ich gerade versäumt, ihnen eine Zigarre anzubieten, was mir im ganzen Leben noch nie passiert ist. Diese beiden Herren haben ab sofort, auch wenn ich selbst nicht da sein sollte, freien Zugriff auf meine Zigarrenkiste.“

Ihr werdet es kaum glauben: wir haben dieses Privileg nicht selten in Anspruch genommen, wenn wir gerade vorbeikamen, und diese beiden attraktiven Damen haben uns gelegentlich sogar mit dem Portwein oder Cognac unseres großzügigen Landesvaters verwöhnt. Auf diese angenehme Weise lernten wir auch Stoltis Protokollchef, Dr. Hans-Jürgen Ahrens, kennen, der später Bundesvorsitzender der Allgemeinen Ortskrankenkassen werden sollte.

Er war es auch, der uns über unsere erstaunlich belastbare Freundschaft mit dem „kühlen Klaren aus dem Norden“ eröffnete, welche Narrenfreiheit wir als Pausenclowns bei Stolti genossen hatten, wohl als einzige ohne berufliche Hintergedanken. Wir trafen uns mit unserem prominenten Freund und seinem Sohn Klaus am Sonntag um 11 Uhr zum Spaziergang, den noblen Niemannsweg in Düsternbrook entlang, wohlgemerkt mit starkem Personenschutz

Klar, dass auch unsere zweite Forschungsreise in den Mittleren Westen der USA 1982 mit 1000 DM aus dem MP Verfügungsfonds dotiert wurde. Aus unseren Studienergebnissen haben wir unter anderem unsere Magisterarbeiten „New Holstein, WI, - 1848er Ortschaft“ sowie „Freiheitsbegriff der 48er aus S-H in USA“ und wir beide 1983 unser gemeinsames Buch „Amerika: Hoffnung und Sehnsucht – aus alten Auswanderungsrathgebern“ zusammengestellt.

Dass Stoltenberg unsere Freundschaft ernst nahm, zeigte sich, als er zusammen mit Dir, liebe Basia, seiner wichtigsten Mitarbeiterin, als Bundesminister für Finanzen nach Bonn ging. Frau Henny Bunse, irgendwann Deine Nachfolgerin, hatte die Anweisung bekommen, die beiden merkwürdigen Freunde ihres Chefs weiterhin mit Zigarren und Getränken zu versorgen.

Kurz: Gerhard Stoltenberg war und blieb für uns ein väterlicher Freund und älterer Bruder, der unkompliziert und witzig sein konnte, ganz im Gegensatz zu dem Eindruck, den er in der Öffentlichkeit und vor der Kamera machte.

Mit unseren unkonventionellen Sprüchen und Humoresken konnte er gut umgehen, sodass wir mit den Jahren zum inoffiziellen Inventar seines ministeriellen Büros wurden. Bei Feierlichkeiten spielten wir die Mundschenke und trugen zur Unterhaltung seiner Gäste bei. So boten wir in einer Wahlnacht eine schauspielerische Einlage im Stil des Ohnsorg-Theaters, nicht ohne vorher die Zustimmung des damaligen persönlichen Referenten Jörn Alwes, später Landrat von Pinneberg, einzuholen. Das Publikum, Stoltenberg mit seinem versammelten Kabinett, staunte nicht schlecht, als Yogi es sich in Richterrobe am Schreibtisch des Chefs bequem machte, Studienfreund Didi den Gerichtsdiener in originaler Polizeijacke spielte und am Ende des Tisches Schulfreund und Theologiestudent Harry Greve den grölenden und lallenden Wiederholungstäter „Gerhard“ Knöllchen mimte. Die Ministerriege schaute bei kritischen Pointen verstohlen zu Stoltenberg und lachte erst befreit mit, wenn dieser in ehrliches Lachen ausbrach.

Unser freundschaftliches Verhältnis veränderte sich auch nicht, als wir ihn später in Bonn in seinem Ministerbüro besuchten, das damals Dr. Horst Köhler, der spätere Bundespräsident, leitete. (Das Trio Barbara, Jörn Alwes und Horst Köhler war zusammen mit Stolti von Kiel nach Bonn gegangen.) Wie es denn in dieser Weltgeschichte so zugeht: Köhler lernte wohl bei der Vorbereitung der Weltwirtschaftsgipfel den US-Präsidenten Bill Clinton kennen, der sich wiederum für Köhler als neuen Präsidenten des World Monetary Fund (WMF) einsetzte.

Bei seinem Wechsel in die Bundesregierung hatten wohl Du und einige wenige mutige CDU-Parteifreunde Stoltenberg dazu geraten, den moralisch gestandenen Wirtschaftsminister Dr. Jürgen Westphal zu seinem Nachfolger in der Staatskanzlei zu machen.

Es sprach für Stolti, dass er der Jugend eine Chance einräumen wollte und sich deswegen für den jungen, aufstrebenden CDU-Fraktionsvorsitzenden Dr. Dr. Uwe Barschel als neuen Ministerpräsidenten entschied. Dieser fatale Fehler blieb in der langjährigen politischen Arbeit Stoltenbergs einmalig. -- Danach sind wir noch einmal in unserem unverbesserlichen Übermut in die Kieler Staatskanzlei gegangen, trafen dort aber schon auf ganz andere Sekretärinnen, die nichts mit uns anzufangen wussten. Ganz im Gegensatz zur Herzenswärme von Dir, droga Barbara, herrschte dort unter Barschel nun eine Atmosphäre von Kälte. Als wir unsere Freundschaft mit dem Amtsvorgänger und unserem freien Zugang zu dessen Zigarrenkiste erwähnten, erfuhren wir im Vorzimmer eine so verständnislose Reaktion, dass wir auf weitere Besuche verzichteten.

Durch Gerhard Stoltenberg kamen wir im Februar 1983 noch zu einer weiteren folgenreichen Bekanntschaft, als er im Rahmen des Bundeswahlkampfes zu den vorgezogenen Neuwahlen Station in Heide machte. Bei diesem Wahlkampftermin lernten wir seinen damals schlanken CDU-Parteifreund mit Ulbricht-Bart kennen, der sich als Peter Harry Carstensen vorstellte und erstmals für den Bundestag kandidierte. Wer hätte sich damals vorstellen können, dass dieser junge Nachwuchspolitiker eines Tages ebenfalls Ministerpräsident von Schleswig-Holstein werden sollte? Bei Familienfeierlichkeiten trafen wir auf Peter Harry Carstensen aus Nordfriesland, der bei diesen vorgezogenen Neuwahlen im März 1983 erstmals in den Deutschen Bundestag gewählt worden war. Als sein Schwager entpuppte sich Stoltenbergs Protokollchef Dr. Hans-Jürgen Ahrens, mit dem wir privat ja seit 1979 befreundet waren. Er hatte während des Studiums schützend seine Hand über unsere Unternehmungen gehalten – vermutlich auf Anweisung des Ministerpräsidenten.

Spätere Berührungspunkte mit Gerhard Stoltenberg ergaben sich, als im Sommer 1983 unsere 45-köpfige plattdeutsche US-Farmer-Reisegruppe aus Holstein, IA, im Bundesfinanzministerium empfangen wurde sowie im Herbst 1999. Yogi erhielt in seinem zweiten Heimatort Northfield in Minnesota einen Anruf aus Flensburg mit einer Bitte des befreundeten Chefredakteurs des Schleswig-Holsteinischen Zeitungsverlags, Stephan Richter. Stoltenberg hatte gerade sein Buch „Erinnerungen und Entwicklungen“ als Rückschau auf die Zeit von 1945 bis 1999 herausgegeben, in dem er häufiger seinen engen Freund Dr. Henry Kissinger erwähnte. Für diese Buchpräsentation hatte Richter im Deutschen Haus in Flensburg eine große Veranstaltung am 12. Dezember 1999 in Anwesenheit Stoltenbergs organisiert. Diesen wollte Richter mit einer fünfminütigen Videobotschaft von Kissinger über seine Freundschaft mit Stoltenberg überraschen. Und die sollte Yogi arrangieren.

Kissingers Zusage erhielten wir zwar gleich, einen Termin für die konkrete Aufnahme zu bekommen erwies sich jedoch als schwierig. Wegen seiner starken Beanspruchung und weltweiten Reisen waren viele Telefonate nötig, unter anderem auch eine zweimalige Verschiebung unseres Fluges nach Deutschland. Schließlich kam unser Dreh mit Kissinger (der nächstes Jahr 90 wird) in dessen New Yorker Büro doch noch rechtzeitig zustande.

Als der ehemalige US-Außenminister diese Video-Botschaft mit „Moin-Moin“ beendete, bekam unser Freund Stoltenberg (wir glauben, seine Frau Margot stammt aus Flensburg) tatsächlich feuchte Augen. – Auf dem Empfang nach der Buchpräsentation macht Didi seiner Frau Margot das Kompliment: „Frau Stoltenberg, Sie sehen bezaubernd jung aus, man könnte sie glatt für die Schwester Ihrer Tochter Susanne halten.“

Dem gerade wieder dazu tretenden Ehemann verriet Yogi: „Herr Stoltenberg, Didi Eicke flirtet gerade mit Ihrer Frau!“, worauf der zum allgemeinen Gelächter erwiderte: „Das kenne ich, das hat er früher schon mit Frau Neil und Frau Schacht gemacht!“ Diese Szene spiegelt unsere unkomplizierte Freundschaft wider, die wir gar nicht als so singulär empfanden, wie sie es nach späterer Aussage vieler Mitarbeiter bis zu seinem Tod im Jahre 2001 aber tatsächlich blieb und die mit unserer Freundschaft zu dir, liebe Barbara, immer verbunden bleibt.

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